Montag, 26. Oktober 2015

Ist Kindererziehung ein Kinderspiel?

- Gastbeitrag -
Dies ist ein Gastbeitrag von Isa, Reisebloggerin, Logopädiestudentin und Weltenbummlerin




„Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen.“  (Maria Montessori, Ärztin, Reformpädagogin, Philosophin und Philanthropin)

Kindererziehung ist leider nicht immer ein Kinderspiel.
Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind. Sie wollen es optimal fördern, vor allem Bösem beschützen und idealerweise die perfekten ErzieherInnen sein.  Aber all dieser Druck kann auf Dauer ziemlich anstrengend sein. Sowohl für die Eltern, als auch für das Kind.

   Erziehungsfalle 1: Zu viel Förderung

Viele Mütter und Väter meinen es ganz Besonders gut mit dem Nachwuchs.  Ein Englischkurs für Zweijährige, tägliches Nachmittagsprogramm mit Musikschule, Theater und Sport – das Kind soll doch optimal gefördert werden! Schließlich soll es ihm im späteren Leben als Erwachsene(r) gut gehen, keine Möglichkeiten sollten ihm verwehrt sein.
Hierbei vergessen wir leider einen ganz bedeutsamen Faktor. Kinder sind keine
kleinen Erwachsenen, sie brauchen kein vollständig durchgeplantes Programm. Sie brauchen stattdessen die Möglichkeit, ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen zu folgen.
Besonders wichtig ist das Spielen für Kinder, welches für uns Erwachsenen möglicherweise nicht wirklich bedeutsam aussieht. Aber im Spiel lernen die Kinder so viel.
Sie lernen die Funktionen von Dingen kennen. Sie lernen, Gegenstände zu explorieren, ihre Beschaffenheit, Form und Farbe kennen zu lernen. Im Spiel können Kinder im Alltag beobachtete Verhaltensweisen nachahmen. Dabei weiten sie ihre Kreativität aus, spielen selbst erfundene Geschichten nach. Im Spiel mit anderen lernen Sie hingegen, auch auf die Wünsche und Vorstellungen ihres Gegenübers einzugehen. Sie realisieren, dass ihr Mitspieler eine eigenständige Person mit eigenen Gedanken ist. Somit entwickeln sich auch soziale Kompetenz und die emotionale Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen. Das Kind sollte selbst auswählen können, welches Spiel es spielen möchte. Werden die Interessen des Kindes respektiert, ist es mit großer Freude und Motivation beim Spiel dabei. Natürlich kann man auch mal als Erwachsener ein Spiel aussuchen. Somit lernt das Kind, dass seine Mitmenschen eigene Persönlichkeiten mit eigenen Wünschen sind. Außerdem kann so die Möglichkeit gefördert werden, Kompromisse einzugehen.


    Erziehungsfalle 2: Vor allem „Bösem“ beschützen

   Wer meint, dem Kind durch ständige Überwachung und Schutz etwas Gutes zu tun, ist auf dem Holzweg. Ganz klar, ein Kind braucht mehr Schutz als ein Erwachsener. Es kann seine Grenzen weniger gut einschätzen, zieht die Abenteuerlust oftmals der Vorsicht vor. Aber ein Kind, das in Watte gepackt wird und immer nur „zuschauen“ darf, wird in seiner Entwicklung eingeschränkt. Kinder brauchen die Möglichkeit, sich selbst zu erproben. Es muss buchstäblich lernen, auf den eigenen Beinen zu stehen. Auch wenn es auf dem Weg dahin immer wieder hinfallen wird. Niemand würde auf die Idee kommen, dem Kind das Laufen zu verwehren, weil Krabbeln doch sicherer ist. Kein Hinfallen, keine Verletzungsgefahr – warum also Laufen? Na, weil Fortschritt eben wichtig ist, um im Leben voran zu kommen!
Mit dem Aufstieg vom „Vierbeiner“ zum „Zweibeiner“ vergrößern Kinder ihren Entdeckerradius gewaltig. Jetzt ist die Aufgabe der Eltern nicht, die Kinder in ihrer Erfahrung einzuschränken indem Sie dem Kind bestimmte Aktivitäten verwehren. Stattdessen sollte die Umgebung so adaptiert werden, dass sich die Kinder möglichst gefahrlos entfalten können. Das bedeutet: keine Putzmittel und scharfe Gegenstände in für das Kind erreichbare Höhen. Kindersicherung für Steckdosen. Besonders scharfe Kanten abrunden bzw. mit weichem Material auskleiden. Usw.
Gerade draußen warten auch viele „Gefahren“ auf das Kind. Hier sollten Eltern aber genau differenzieren. Denn nicht jedes Hindernis ist eine „Gefahr“. Viele Hindernisse können auch als „Lernobjekt“ angesehen werden.
Bei einem Spaziergang im Wald kann das Kind über einen Stock fallen. Am Spielplatz kann das Kind Sand kosten oder vielleicht von einem anderen Kind verletzt werden. Beim Spielen mit der Katze kann das Kind gekratzt werden,usw.
Im Grunde genommen sind all diese Dinge keine wirklich Gefährdung für das Kind. Bei der nächsten Wanderung lernt das Kind, besser aufzupassen wo es hintritt. Es weiß, dass Sand nicht gut schmeckt. Im Umgang mit anderen Kindern entwickelt es Strategien, mit solchen Konfliktsituationen umzugehen. Auch die Katze wird es beim nächsten Mal nicht mehr am Schwanz ziehen. All diese Erfahrungen sind im ersten Moment unangenehm. Aber diese negativen Erfahrungen schützen vor späteren, schlimmeren negativen Erfahrungen. Wenn ein Kind aufgrund von Überbehütung keine Erfahrungen sammeln kann, entwickelt es kein Bewusstsein für Sicherheit und Grenzen. Nur durch eigene Erfahrungen kann das Kind sein Weltwissen erweitern und sein Verhalten entsprechend modifizieren.  Besonders Erlebnisse in der Natur mit anderen Kindern sind besonders wichtig.  Hier können Kinder als kleine Entdecker die Welt begreifen und ihre sozialen Fähigkeiten ausbauen. Bücher und Fernsehen sind kein Ersatz für diese Erfahrungen.

Erziehungsfalle 3: Anspruch auf Perfektion

   Ein Kind ist oft der Mittelpunkt der Familie, der Augenstern seiner Eltern. Natürlich wollen die Erwachsenen, dass ihr kleiner Zwerg stets glücklich ist. Sie bieten ihm den Himmel auf Erden, sind immer freundlich und lieb. Jeder Wunsch wird dem Kind von den Augen abgelesen – schließlich soll der Kleine eine wunderbare, glückliche Kindheit haben! Dieses aufgesetzte „Always-Happy-Family-Modell“ ist zwar gut gemeint, pädagogisch gesehen aber nicht ideal. Kinder brauchen die Möglichkeit, auch negative Gefühle erleben und zeigen zu dürfen. Eltern sollten ihre eigenen Bedürfnisse achten, und dementsprechend Grenzen ziehen.

Ein Beispiel: Kind und Vater spielen gemeinsam mit den Fahrzeugen. Das Kind hält plötzlich in der Spielsituation inne, rennt davon und möchte ein anderes Spiel nehmen. Der Vater geht zum Kind und erklärt ihm, dass sie zuerst das andere Spielmaterial wegräumen müssen. Dann können sie ein anderes Spiel holen. Er betont, dass er es nicht mag, wenn es unordentlich ist. Das Kind reagiert wütend. Es schreit, und versucht die Spielkiste mit dem anderen Spielmaterial zu schnappen. Der Vater ist schneller und stellt die Kiste auf eine höhere Ablage. Das Kind schreit. Der Vater verbalisiert, dass er verstehe, dass es wütend sei. Er erklärt dem Kind, dass es das andere Spiel bekommt, sobald es die Fahrzeuge weggeräumt hat. Der Vater fängt an mit dem Aufräumen und hält in der Handlung inne. Er nimmt Blickkontakt mit dem Kind auf. Das Kind kommt zum Vater und hilft ihm. Nach der Aufräumaktion bekommt das Kind als Belohnung das gewünschte Spielmaterial.
Der Vater hat in dieser Situation ganz klar Grenzen gesetzt. Er hat seine Gefühle verbalisiert („Ich mag das nicht“) und auch die Gefühle des Kindes angenommen. Die Regel (Wegräumen – sonst kein neues Spiel) hat er konsequent durchgesetzt, bei Einhaltung der Regel bekam das Kind die entsprechende Belohnung.

Auch wenn es nicht leicht ist, sein Kind traurig und wütend zu sehen – Grenzen sind wichtig! Ohne Grenzen lernt ein Kind nicht die Regeln der Gesellschaft kennen, findet keinen Halt in der Welt. Eltern als „sichere Basis“ müssen klar und konsequent in der Erziehung zu sein, um dem Kind Sicherheit zu vermitteln.

Zu Beginn des Artikels habe ich geschrieben „Kindererziehung ist leider nicht immer ein Kinderspiel.“
Vielleicht ist diese Annahme aber falsch? Vielleicht ist Kindererziehung genau das? Ein Spiel, wo die Regeln und Grenzen kennen gelernt und konsequent durchgesetzt werden müssen. Ein Abenteuerspiel, das auch Gefahren birgt. Dessen Abenteuer aber erlebt werden müssen, um voran zu kommen. Ein Spiel, das den Interessen, dem eigenem inneren Antrieb der Kinder folgt – und nicht allein den Vorstellungen der Eltern. Ein schönes Spiel, ein spannendes Spiel – aber manchmal auch ein ziemlich kniffliges Spiel.

    Dieser Gastbeitrag stammt von Isa, Reisebloggerin, Logopädiestudentin und Weltenbummlerin,
bei der ich mich ganz herzlich für diesen tollen Artikel bedanke!

Wie seht ihr das spannende Thema Kindererziehung? Ist es für euch ein Kinderspiel? Oder sucht ihr noch nach der Spielanleitung? ;o)



2 Kommentare:

  1. Danke für den Artikel!! Ich muss zugeben, dass ich schon in alle 3 Erziehungsfallen getappt bin und das macht das Ganze nicht einfacher! Es ist toll zu erfahren, dass man es auch übertreiben kann und dass weniger oft mehr ist!

    Lieben Gruß,
    Susanna

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    1. Gerne! Das freut mich sehr, und glaube mir, ich tappe auch sehr gern in diese Fallen ;-)
      LG Sandy

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